“Die Fledermaus ist wie Kabarett – nur mit Tiefgang”

Die Fledermaus von Johann Strauß – Kabarett vom Feinsten

Als Johann Strauß Ende des 19. Jahrhunderts das Libretto zur Fledermaus las, war er restlos begeistert, “spielte doch die gesamte Handlung auf einem Schauplatz, der ihm besonders lag: nämlich auf einem Ball”.

Nicht so auf Immling. Regisseur Thomas Peters verlegte den Hauptteil der Fledermaus kurzerhand in die Sauna. Und in dieser nimmt das Spiel um Lüge und Schwindel hinter glänzenden Fassaden und vor dem Bühnenbild von Nikolaus Hipp, das über Video-Installationen den lebendigen Hintergrund bildet, seinen Lauf.

Die Rollen sind großartig besetzt, schauspielerisch und gesanglich auf hohem Niveau, mit viel Witz und Esprit: Ob Rosalinde (Katja Bördner) und Eisenstein (Alexander Geller) als perfekt-standesgemäßes Ehepaar oder Gezim Berisha als treuer Freund Dr. Falke  – alles Lug und Trug, alles austauschbar. Der Liebhaber Alfred (Victor Campos Leal, im Spiel wie im wahren Leben ein stimmsicherer Tenor) wird zum Gatten Eisenstein, der Gatte Eisenstein erst zum Liebhaber seiner Ehefrau, dann zu seinem eigenen Anwalt Dr. Blind (komödiantisch verkörpert von Pierre Herrmann), Rosalinde als ungarische Gräfin zur Geliebten ihres Ehemanns, die Kammerzofe Adele (Jennifer Zein) zur umschwärmten Schauspielerin, die als solche, selbst in Camouflage, mit ihrer Schwester Ida (Caren Maxerath) auf De-Maskierung der Gräfin und damit Bloßstellung ihrer Herrschaft drängt.

All das findet seinen Platz außerhalb der strengen gesellschaftlichen Normen auf dem Sauna-Ball des Prinzen Orlofsky (Jina Choi), eine exzellent besetzte Hosenrolle – denn in diesem Stück haben, ganz anders als in der Realität des 19. Jahrhunderts, die Frauen sprichwörtlich die Hosen an.

Mit der Verlegung des Geschehens in die Sauna wird die kabaretteske Fledermaus auf eine tiefere Ebene verlagert. In der Sauna sind die Standesunterschiede aufgehoben, der Standesdünkel entlarvt: Die Protagonisten in Badekleidung (Gefängnisdirektor und Gefangener tragen den gleichen Bademantel) mischen sich mit dem Handtuch-beschürzten Chor unter die Party-Gäste in Ballkleidung. Der Sauna-Dampf, gewirbelt vom wirkungsvoll-präsenten Saunameister Bastian Unterseer,  legt sich über die Wirklichkeit und alle sind gleich: Herren und Diener, Groß und Klein, Schwarz und Weiß werden zu Brüderlein und Schwesterlein, vereint im Walzer. Gleichzeitig wird das Geschehen auf der Bühne zum Spiel im Spiel: Auf der Galerie sitzten Theatergäste als Zuschauer, Dirigent und Orchester werden aktiv in das Geschehen einbezogen. Und in der Schluss-Szene betritt das gesamte Ensemble in Ballkleidern die Bühne: Alles war ein Scherz, ein Spiel, keiner wird zur Rechenschaft gezogen, keiner muss Verantwortung übernehmen. Schuld war der Champagner, “die Majestät wird anerkannt rings im Land“.

Doch Immling wäre nicht Immling, wenn hier nicht augenzwinkernd aktuelle Bezüge hergestellt würden. Bezieht sich die Majestät nur auf den Champagner oder auch auf das Portrait von Franz-Josef-Strauß, das über dem Tisch des Gefängnis-Direktors hängt? Und ist es Zufall, dass der Gefängniswärter Frosch (eine Parade-Rolle für den Kabarettisten Uli Bauer) auf das momentan medienpräsente Zittern Merkels ebenso wie auf die aktuelle Bedrohung Immlings als Festspielort anspielt? Oder die attraktiven weiblichen Haupt- und Nebendarsteller mit der me-too-Debatte kokettieren und die Männer dabei der Lächerlichkeit preisgeben?

Zu Zeiten von Johann Strauß beanstandete die Zensurbehörde der k.u.k. viele “politisch und moralisch anstößige Textstellen”, so dass Strauß den Text bearbeiten musste. Wie wohltuend, dass Peters diese Zensur in der Immling-Inszenierung wieder aufgehoben hat! So geht der Zuschauer nicht nur sehr beschwingt und gedanklich beschwipst ob des (leider ebenfalls nur gedanklich) konsumierten Wodka und Champagner nach Hause (oder ins Zelt), sondern auch etwas nachdenklich.

Denn, um Gezim Berisha zu zitieren, die Fledermaus “ist wie Kabarett” – aber mit Tiefgang!

                                                                                                                                                                                            Anette Land (Zuschauerin am 15.7.19)