Immling hält Wort!
Immling hält Wort!
“Aufrichtig zu sein, kann ich versprechen, unparteiisch zu sein aber nicht.“
Johann Wolfgang von Goethe
Liebe Opernfreundin, lieber Opernfreund,
die 28. Saison des Immling Festivals ging am Sonntag, den 18. August mit einem musikalischen Bilderbogen zu Ende, der uns noch einmal eindrücklich an das diesjährige Motto MITMENSCHLICH erinnert hat!
Zu Beginn haben wir gefragt: „Kann Oper „politisch“? DARF Oper „politisch“?
Wir, die jedes Jahr bis zu 40 unterschiedliche Nationen unter unserem Dach vereinen, um gemeinsam zu musizieren, müssen diese Frage klar mit „JA“ beantworten.“ So beziehen Intendant Ludwig Baumann und die musikalische Leiterin Cornelia von Kerssenbrock in ihrem Programmvorwort deutlich Stellung, und das Versprechen, dass Immling MITMENSCHLICH in jedem Sinne Groß schreibt, zieht sich auch wieder eindrucksvoll durch die 28. Saison.
Und ich meine damit gar nicht mal so sehr die großen Themen in unseren Opern, sondern all die „kleinen“ Dinge, die – oft für Sie unsichtbar – vorher, nachher und manchmal auch mittendrin stattfinden.
Foto Cornelia von Kerssenbrock mit Orchester & Festivalchor © Nicole Richter
Da geht eine Chorsängerin während der Chorgala sprichwörtlich in die Knie, die Kolleginnen und Kollegen helfen ihr, sich hinzulegen (auf der Chortreppe!) – während alle weitersingen! Maestra von Kerssenbrock dirigiert ruhig zu Ende und wendet sich nach dem Applaus ans Publikum „Wir haben einen kleinen Notfall, kann der Notarzt bitte auf die Bühne kommen.“ Hitze, der Kreislauf hatte versagt, aber alle waren zur Stelle und haben mitmenschlich und in Ruhe gehandelt, ich war wirklich tief beeindruckt – ich hätte wahrscheinlich Panik bekommen und hätte alle anderen aus dem Tritt gebracht.
Unsere Amneris bekommt Probleme mit ihrer Stimme, und „teilt“ sich den Auftritt gewissermaßen mit einer Sängerin, die kurzfristig aushilft, von der Seite her singt, während die erkrankte Darstellerin die schauspielerisch herausfordernde Rolle auf der Bühne formvollendet zur Darstellung bringt.
Foto – Festivalchor © Verena von Kerssenbrock
Mitmenschlich zeigt sich Immling auch jedes Jahr in der Inklusionsveranstaltung. Menschen, die auf Grund von physischen oder psychischen Einschränkungen der Zugang zu Live-Aufführungen in Oper oder Theater in der Regel nicht möglich ist, kommen in Immling voll zu ihrem Recht auf Teilhabe an dem, was uns als Menschen ausmacht – gemeinsam Kultur erleben zu können! Ehrensache, dass alle von Immling an diesem Tag ehrenamtlich helfen, Rollstühle an den richtigen Platz zu schieben, selbst Liegendtransporte können sich bei uns an Musik und Aufführung erfreuen!
Na, und wer es bis zum Schluss nicht so richtig mitbekommen hat, der weiß spätestens zum Finale Grande, WIE gut Immling mitmenschlich kann! Ein junger Namibier dirigiert das „Dry Your Tears, Africa“, die Titelmelodie aus dem Sklavenfilm „Amistad“. Namibia erlangte 1990 seine Unabhängigkeit, die Apartheitszeit ist nicht vergessen!
Fünf junge Tenöre aus ebenso vielen Nationen „teilen“ sich die wunderschöne Arie „Nessun Dorma“ aus „Turandot“ und am Schluss jubeln sie alle gemeinsam mit viel Können, Lust und Spaß die letzte Zeile: „All’alba vincerò“ (in der Dämmerung werde ich siegen) – Sänger aus dem Libanon, Mexiko, Polen, England und der Ukraine bekräftigen, dass Musik alles überwindet und Nationen gemeinsam siegen können! Denn unsere Herzen haben sie sicher alle erobert!
Foto – Elson Hindundu
Und diesmal gab es nach der „letzten“ Zugabe, dem traditionellen „Libiamo ne’ lieti calici“ aus La Traviata noch einen gewissermaßen von Maestra von Kerssenbrock ganz persönlich gesetzten „Kontrapunkt“ (im weitesten Sinne eine neue oder „Gegen“stimme zu einem Thema): Der Chor setzt sich wieder, das Orchester greift zu den Instrumenten und ein Sänger steht auf und beginnt zu singen. Noch einer steht auf, dann eine, und dann antwortet erst eine, dann mehrere Gegenstimmen vom anderen Ende der Halle her. Alle Solisten marschieren gemeinsam den Gang hinauf, während im Chor immer mehr aufstehen und sich dem Gesang anschließen – und alle halten die kleinen Flaggen der 40 Nationen, die während des gesamten Festivals die Auffahrt geschmückt haben, in den Händen. Der Schlusschor, ein Revolutionslied, es geht darum, in Frieden leben zu wollen, gemeinsam sein zu dürfen, von allen gesungen – Gänsehaut pur!! Da drängt sich das Gothe-Zitat vom Anfang geradezu übermächtig auf.
Und im Zelt geht es munter weiter, Solisten tanzen ausgelassen zu afrikanischen Trommeln und alle singen gemeinsam mit den Choristen aus Georgien eines der wunderschönen georgischen Lieder – Musik macht es vor, jetzt müssen es nur noch unsere Politiker in der ganzen Welt endlich begreifen: wir wollen friedlich miteinander leben, unsere Kulturen teilen und gemeinsam eine friedliche Welt verwirklichen.
Ein großer Traum – in Immling wird er jedes Jahr ein kleines Stück Wirklichkeit.
In diesem Sinne – freuen Sie sich auf die 29. Saison auf dem Hügel!
Herzlichst wie immer verabschiede ich mich von Ihnen
Ihre Christiane Berker
Foto – Yunuet Laguna, Diana Alexe, Patricia Osei-Kofi © Nicole Richter