Houston, we have a problem…
Liebe Opernfreunde,
ich kann gar nicht so schnell schreiben, wie sich die Ereignisse in Immling „überstürzen“.
Auszeichnung
Zwischen zwei Premieren hat unser „Traumpaar“ (Zitat von Markus Blume, Staatsminister für Kultur und Kunst in Bayern) in München die Auszeichnung „PRO MERITIS SCIENTIEAE ET LITTERARUM“ von Ministerpräsident Söder erhalten. Cornelia von Kerssenbrock und Ludwig Baumann, „das kreative Dream-Team des magischen Immling-Festivals“ erhielten diese Auszeichnung als herausragende Persönlichkeiten für ihre Verdienste um Wissenschaft und Kunst. (Hier finden Sie die Pressemitteilung der Bayerischen Staatsregierung: https://www.bayern.de/pro-meritis-scientiae-et-litterarum-blume-prgende-persnlichkeiten-der-bayerischen-kulturlandschaft/?seite=2453 ).
Ein hochverdienter Preis, finde ich und gratuliere an dieser Stelle, sicher auch im Namen unseres treuen Publikums.
Kreativität ist für die beiden aber nicht nur in Bezug auf die musikalische Interpretation eines Werkes, die Gestaltung einer Bühne oder die Entwicklung einer Inszenierung gefragt!
Beide sind ja Allrounder, wenn es um Immling geht: Pressemitteilungen überprüfen, bevor sie rausgehen, mit Ticketing und Marketing besprechen, was zu tun ist, wenn sich der Erfolg einer Aufführung noch nicht zu allen Zuschauern herumgesprochen hat, junge Sänger:innen behutsam an die Hand nehmen und zu Höchstleistungen führen – nur eine kleine Auswahl all dessen, was so täglich (und über das ganze Jahr verteilt) auf den Schultern des „Dream-Teams“ lastet.
Ausfall
In jeder Saison sind die beiden aber auch als „Feuerwehr“ tätig, denn wo Menschen arbeiten, werden Menschen krank. Fällt ein Chormitglied aus, kann das von den anderen mit noch mehr Einsatz (ist das überhaupt möglich??) kompensiert werden. Aber was passiert eigentlich, wenn eine Solist:in ausfällt?
In diesem Jahr kurz vor der Premiere gleich zwei Solist:innen aus der Aida-Produktion! Radamés bekam eine komplizierte Stimmbanderkrankung und Amneris brach sich in Mexiko das Bein…
Wenn so etwas passiert, setzt sich in Immling eine gut geölte Maschine in Gang. Agenturen werden abtelefoniert, brauchen wir nur einen oder zwei Termine oder muss die Rolle für die ganze Saison ersetzt werden? Wer ist verfügbar, wer passt auch stimmlich in die Inszenierung, und wo singen die gerade auf der Welt? Da muss dann auch mal ein Sänger kurzfristig aus Korea eingeflogen werden, der im Flieger flugs den Text lernt, weil er vier Tage später zur Premiere auf der Bühne stehen soll und diese spezielle Oper noch nie gesungen hat.
Ankunft, die ganze Nacht wird die Inszenierung durchgesprochen, am nächsten Tag probt die Dirigentin, in den Pausen geht der Regisseur die einzelnen Auftritte durch. Immling ist bekanntlich, was die Bühne angeht, für jede Sänger:in eine Herausforderung, denn es gibt Auftritte von oben, von unten, von hinten… sich also alle Auftritte einprägen, gleichzeitig im Zweifel den Text lernen oder auffrischen, möglicherweise Kürzungen im Kopf behalten und sich an die Sangesanweisungen der Dirigentin erinnern, während man die verschiedenen Auftritte mit der jeweiligen Arie verknüpft – da ist nicht nur viel Geduld bei Regisseur und Dirigentin gefragt, das ist auch eine Riesenherausforderung für jede Sänger:in!
Und wenn Sie denken, dass ist schon kaum machbar, dann bedenken Sie, dass nun auch in Windeseile ein neues Kostüm geschneidert werden muss, eventuell die Perücke verändert, und wenn – wie oft in Immling – auch noch Choreografie zur Rolle gehört, dann ist es ein Wunder, dass es vom Zuschauerraum gar nicht gemerkt wird, dass da oben eine:r steht, die das alles erst vor ein paar Tagen zum ersten Mal gehört und gesehen hat! Wenn also im Programmheft ein Handzettel liegt, oder der Intendant vor der Vorstellung bekannt gibt, dass heute eine Rolle umbesetzt werden musste, so ist ein kleiner Extra-Applaus für die Sänger:in durchaus angebracht.
Anfang
Lassen Sie mich am Schluss noch unsere zwei Premieren des letzten Wochenendes loben! Eine von Verena von Kerssenbrock inszenierte Dreigroschenoper sorgte für jede Menge Überraschungen – und hielt sich dennoch streng an die Vorgaben der Brecht-Erben. Die haben zum Glück keine Vorgaben zur Art der Inszenierung gemacht, und wie immer hat Verena von Kerssenbrock sich wieder einen genialen Coup einfallen lassen! Diese Inszenierung ist ein Muss: Brecht hat einen zeitlosen Text geschaffen, den Verena von Kerssenbrock mit einer Intensität auf die Bühne bringt, die mich bisweilen ob der Aktualität kurz die Luft anhalten ließ. Die Dreigroschenoper geht bis an die Schmerzgrenze, denn die bestürzende Erkenntnis, dass die Probleme der 20er Jahre auch heute noch hochaktuell sind, ob wir auf die zunehmende Rücksichtslosigkeit oder die menschenverachtenden Aktionen Einzelner oder verschiedener Gruppen gegen die Ärmsten der Armen schauen – eigentlich hat sich nicht viel geändert!
Haben Sie Kinder oder Enkel? Dann kann ich Ihnen nur die Kinderoper „Der Barbier von Sevilla“ ans Herz legen! Immling hat es sich schon lange zur Aufgabe gemacht, auch die Kleinsten bereits mit Oper vertraut zu machen, und da wird in den Barbier auch schon mal ein „Figaro-Rap“ eingebaut, um die Jüngsten bei der Stange zu halten.
Kleiner Geheimtip: „…für Erwachsene ebenso“ gilt nicht nur für Gummibärchen….
Mit herzlichen Grüßen
Ihre Christiane Berker