Rückblick auf das Jahr 2009

„Macbeth“ von Giuseppe Verdi

Inszenierung: Verena von Kerssenbrock
Musikalische Leitung: Cornelia von Kerssenbrock

Zu Beginn

Die Oper wurde am 14. März 1847 im Teatro della Pergola in Florenz uraufgeführt und gehört seitdem zu den bekanntesten Dramenadaptionen Shakespeares. Über Verdis Bewunderung für Shakespeare haben wir übrigens schon mal geschrieben! Nachlesen können Sie den Beitrag über die Oper „Otello“ im Jahresrückblick 2014.

Blutrausch

Die Handlung um die Hexenprophezeiung, die Macbeth und seine Frau Lady Macbeth in einen Blutrausch und einen unstillbaren Hunger nach Macht stürzt, hat einen offensichtlich guten Anfang. Der siegreiche Macbeth kehrt als Kriegsheld triumphal von der Schlacht zurück. Er wird gefeiert, befördert und der König kehrt auf sein Gut ein. Doch was bedeutet es eigentlich, dass die Handlung in genau diesem Moment beginnt? Was bedeutet es, dass wir uns in einem Nachkriegsschauplatz befinden?

Das Regiekonzept

Regisseurin Verena von Kerssenbrock stellt genau diese Überlegungen in den Mittelpunkt ihres Regiekonzepts:

„Atemberaubende Bauwerke wurden geschaffen, Städte errichtet. Doch genauso begierig wie die künstlerische Kreativität des Menschen scheint auch stets seine Zerstörungswut. Mit der einen Hand baut er auf, mit der anderen vernichtet er. Voller Fantasie ruft er die bezauberndsten Dinge ins Leben, nur um dann mit derselben Raffinesse und Leidenschaft alles dem Erdboden gleich zu machen, seine Mitmenschen zu massakrieren und nach sich eine Sintflut hereinbrechen zu lassen. […]

Shakespeares und auch Verdis „Macbeth“ beginnen noch im letzten aufgewirbelten Staub eines grausamen Krieges. Die beiden Feldherrn Macbeth und Banco haben gewonnen, die Feinde sind geschlagen und werden wohl bald als Helden gefeiert werden. Aber was lassen sie zurück? […]

Zerstörung, Verwüstung bleibt zurück. Unendlicher Schmerz durch Verlust und Tod. Kriegsverletzungen und nicht nur die, welche das Auge wahrnimmt, die einem ein Bild des Grauens eröffnen. Nein, auch die Verletzungen, die im Inneren eines Menschen geschehen, die zurückgelassenen Horrorbilder, die sich nun in die Seele fressen und vor denen es kein Entrinnen zu geben scheint.

Was wird aus diesen nicht verarbeiteten Eindrücken? Hilfsgüter helfen gegen Hunger und dienen dem körperlichen Überleben. Aber wohin mit der Qual, der Angst, den Vorwürfen, der Wut, dem Entsetzen? Die Bilder beginnen zu wachsen, sich zu formen, in immer wiederkehrenden Schreckensvisionen zum wahren Alptraum zu werden und irgendwann einmal, wenn sie keine Hilfe, keinen „Ausgang“ gefunden haben, zu explodieren. […]

Gerade Kinder, die in Situationen geraten, in denen sie einen beunruhigenden Umstand, eine seelische Verletzung nicht mehr verarbeiten können, sind nicht in der Lage darüber zu sprechen, weil ihnen in den meisten Fällen ein Ansprechpartner fehlt. Sie flüchten in einen Bereich, in dem sie genügend Kraft besitzen, um andere Menschen, die sie demütigen und schlagen, selbst zu vernichten. Sie flüchten in eine Welt der Phantasie, in Gewaltphantasien, die schreckliche Wirklichkeit werden können.“

Das Programmheft zu dieser Macbeth Produktion zitiert abschließend eine Aussage, die diese ganzen Gedanken zusammenfasst:

„Wenn man lange genug in einen Abgrund hineinblickt, muss man vorsichtig sein, dass der Abgrund nicht irgendwann einmal in einen selbst hineinblickt.“

(Friedrich Nietzsche)

„La Bohème“ von Giacomo Puccini

Inszenierung: Susanne Knapp
Musikalische Leitung: Georg Schmöhe

Die Regisseurin hat sich für ihr Konzept intensiv damit auseinandergesetzt, was das Leben der Bohème eigentlich bedeutet. Für diesen Beitrag unseres Jubiläumscountdowns haben wir im Archiv Auszüge aus dem Regiekonzept von Susanne Knapp ausgegraben:

Lebenshunger

„Das Leben der Bohème, das ist ein Leben mit viel Lebenshunger. Das ist ein Leben, das hin und her wirft zwischen bitterster Armut, Rausch und Exzessen, Völlerei und Askese, Höhenflügen, Einsamkeit, der unerträglichen Leichtigkeit und Ausweglosigkeit des Seins. Der Wechsel vom einen ins andere Extrem kommt unangekündigt, plötzlich. Die Kunst, dies Leben lachend zu ertragen, liegt in der unerschöpflichen Improvisationskunst und der Freude am Leben an sich.

Lebe den Moment!

Im Moment leben zu können, gibt der Fantasie die Möglichkeit, sich zu entfalten. Die Unsicherheiten des Lebens hindern die Bohemiens nicht daran, ausgefüllt und voller Träume zu sein. Nicht Armut ist typisch für die Bohemiens. Arm sind viele. Anders ist jedoch ihr Umgang damit. Sie lamentieren nicht. Die Wahrheit ist doch, dass man nichts festhalten kann. Weder Geld, noch Liebe, noch Leben. Die Bohemiens haben den Mut, das Leben aus sich heraus zu verstehen. Und Leben bedeutet immer Unsicherheit. Zum Glücklichsein braucht es eben Phantasie.

Wild!

In der Oper werden die Bohemiens von Szene zu Szene geworfen. Übergangslos. Wild. Es gibt keine Zeit, sich an irgendetwas zu gewöhnen. Aufbau und Rhythmik der Oper sind unberechenbar und spontan wie das Bohemienleben selbst. Erster und vierter Akt gleichen einem intimen Kammerspiel, der zweite Akt ist in Festrausch und Trunkenheit, das Gegenteil. Der dritte Akt antwortet diesem Exzess mit größter Einsamkeit. Das Extrem dieser Seiten des Er-Lebens auszuloten, ist Focus von Raum und Inszenierung. [..]

Tanz auf dem Vulkan

Leben ist ein Tanz auf dem Vulkan und deshalb ekstatisch, weil der Abgrund so nah ist. Die Nähe des Todes intensiviert das Leben. So furchterregend der Tod auch sein mag, ohne ihn wäre das Leben fade. Nur der Zufall trennt uns vom Tod. Ist der Tod doch das einzige, was wirklich sicher ist. Mimis Tod ist insofern tragisch, weil er von innen heraus, ganz unverschuldet, ohne Gewalt und mitten im Frühling erscheint. So geschickt die Bohemiens im Leben auch sind, so ungeübt und hilflos sind sie im Sterben.“