Rückblick auf das Jahr 2008

„Rigoletto“ “ von Giuseppe Verdi

Inszenierung: Verena von Kerssenbrock

Was bei Betrachtung der Inszenierungsfotos auffällt, neben dem phänomenalen Bühnenbild von Verena von Kerssenbrock, sind die fantasievollen und detailreichen Kostüme. Diese sind in Zusammenarbeit mit SchülerInnen der deutschen Meisterschule für Mode in München entstanden sind. Das Kostüm ist eine der wichtigsten künstlerischen Bestandteile im Entstehungsprozess einer Inszenierung. Was erzählen sie dem Publikum über die Figur? In „Rigoletto“ wurde für jeden Darstellenden auf der Bühne ein eigenes Kostüm designt und realisiert, um die Handlung der Oper zu unterstreichen und ‚auszumalen‘.

Die Handlung

Die Handlung erzählt die Geschichte von Rigoletto, der Hofnarr des Herzogs von Mantua, der als notorischer Frauenheld bekannt ist. Als Narr macht sich Rigoletto über die Opfer des Herzogs sowie deren gehörnte Ehemänner und entsetzte Väter lustig, so wie es seine Aufgabe ist. Der Graf von Monterone, Vater eines der herzöglichen Opfer, verflucht den Narren daraufhin ob seiner Bosheit. Als Rigoletto vorschlägt, die Frau des Grafen Ceprano für seinen Herren zu entführen, ist die Hofgesellschaft darüber so erzürnt, dass sie beschließt, dem bösartigen Narren einen Denkzettel zu verpassen.  Statt Gräfin Ceprano wird deshalb Rigolettos vermeintliche Geliebte Gilda entführt, die in Wahrheit die Tochter des Narren ist. Im Palast trifft Rigoletto seine vermisste Tochter wieder, die ihm gesteht, zwischenzeitlich vom Herzog verführt worden zu sein. Der Narr, der nun seine eigene Tochter durch den Herzog ihrer Ehre beraubt sieht, entschließt sich, den Herzog ermorden zu lassen. Der gedungene Mörder, Sparafucile, ersticht jedoch Gilda, als diese den Herzog aus Liebe zu retten versucht – womit sich der Fluch des Grafen von Monterone erfüllt.

Das Konzept

Wenn ein Produktionsteam mit einer Handlung wie dieser konfrontiert ist, ist es essenziell zu Beginn der Probenzeit die Figuren zu charakterisieren. Dies passiert in einem regen Austausch zwischen Regie, Dramaturgie, Bühnenbild und Kostümbild. So wird ein Konzept für Inszenierung, Darstellung und Kostüm der einzelnen Figur erschaffen, wie hier beispielsweise die des Rigoletto:

„Der ‚NARR‘ Rigoletto, der versucht, ein anderes Leben zu leben als das seine. Der seine eigene Wahrheit aus Schwäche leugnet, um von den anderen aufgenommen zu werden und um zu überleben. Er spielt den Clown, den Animateur, den NARREN. MASKE und Verkleidung werden zu seiner Lebensaufgabe. Er sieht darin Schutz, doch auf dem Weg des NARREN werden sie zum Fluch.“

Dieses Konzept wird dann im Laufe einer Produktion ausgearbeitet und zusammen mit dem Darstellenden zum Leben erweckt. Vor den Augen des Publikums kommt dann alles zusammen: Musik, Darstellung und Ausstattung – Dieses Zusammenspiel schafft es, Gefühle von vor fast 200 Jahren neu zu erwecken.

So ist es auch bei dieser Produktion von „Rigoletto“ gelungen. Ein Zitat aus dem Darmstädter Echo, verfasst von Alexander U. Martens am 18. Juni 2008:

„So wird man derzeit auf deutschen Bühnen schwerlich anderswo eine überzeugendere „Rigoletto“ Produktion erleben können. Eine intelligente, psychologisch durchdachte, von keiner bemühten Originalität angekränkelte und doch alles andere als konventionelle Inszenierung.“

Verena von Kerssenbrock, verantwortlich auch für das genial einfache wie beredte Bühnenbild.

„Nabucco“ von Giuseppe Verdi

Inszenierung: Nicola Panzer
Musikalische Leitung: Cornelia von Kerssenbrock
Bühnenbild und Kostüme: Gilberto Giardini

Wer war Nabucco in der Geschichte? Und warum ist das Stück heute noch so aktuell?

Nabucco ist die italienische Kurzform des Namens Nebukadnezar und bezieht sich auf den neubabylonischen König Nebukadnezar II, der 605 bis 562 regierte. Auch in der Bibel findet sich die Geschichte des Königs, der die Unterwerfung des Volkes Israels anstrebt und erst nach 7 Jahre des Wahnsinns den Gott Israels anerkennt.

Handlungsebenen

In Verdis Komposition, basierend auf dem Libretto von Temistocle Solera, stehen zwei verschiedene Handlungsebenen im Fokus: Einerseits die politische Ebene, auf der das Streben des jüdischen Volkes nach Freiheit aus der babylonischen Gefangenschaft thematisiert wird. Andererseits steht die extreme Selbstüberschätzung des Titelhelden Nabucco und die Intrigen zwischen seinen Töchtern im Zentrum. Nabucco, berauscht von siegreichten Schlachten, reicht es nicht König zu sein und will sich als Gott verehren lassen. Er wird daraufhin mit Wahnsinn geschlagen und erst durch die Bekehrung zum Gott der Hebräer geheilt.

Die Aktualität der Handlung

Um diesen Klassiker der Operngeschichte zu interpretieren, haben sich Nicola Panzer und Gilberto Giardini in ihrem Konzept, neben den grundlegenden Unterschieden der zwei Kulturen der Babylonier und der Hebräer, auf die immer noch andauernde Aktualität der Handlung fokussiert:

„Nabucco ist ein hoch politisches Stück um Macht und Religion. Zwei Systeme treffen aufeinander, die monotheistische Kultur der Hebräer und die polytheistische Gesellschaft der expandierenden Babylonier. Ein moderner wie auch zeitloser Konflikt. Entwurzelung steht im Zentrum des Werkes – durch Verlust der Heimat infolge von Verschleppung wie auch durch gewaltsame Ausgrenzung aus der Gesellschaft und der Auflösung der persönlichen Identität, die sich als Täuschung erweist.

Das Individuum bleibt in jeder Form der Massengesellschaft auf der Strecke. Unser Konzept zeigt die Prinzipienhaftigkeit der politischen Abläufe. Klare Farben und Formen definieren die gegenüberstehenden Parteien. Eine überdimensionale Mauer repräsentiert Macht, aber auch Ohnmacht, Geltungssucht und Einsamkeit.

Die Gesellschaft der Babylonier, die sich durch stete Reproduktion nach außen ihrer selbst und ihrer Existenz zu vergewissern sucht – man muss sich den Göttern in Erinnerung halten, Vergessen zu sein, in den Nebel der Vergangenheit zu versinken, das bedeutet Tod, sich durch lärmendes Erinnern im Bewusstsein der Nachkommen und Götter zuhalten, heißt Leben, – zeigt sich extrovertiert und dekadent. Viel nackte Haut und Gold. Ihr offener Umgang mit Sexualität erweist sich als ebenso unfrei wie die in die Zukunft gerichtete Kultur der Hebräer. Nach innen gewandt, fest umgürtet, monotheistisch, ihrem Propheten in eine vermeintlich bessere Welt folgend, ist diese gleichfalls bereit, im Dienste der Macht Individualität zu opfern. […]

Eine politisch brisante Geschichte von ewiger Gültigkeit. Der Versuch, in Glauben und Massenerlebnis persönliche Identität zu sichern, die Eliminierung einzelner Schicksale in Kauf nehmend, erscheint heute in einem neuen Kontext. Die Zeiten, in denen der Gefangenenchor die italienische Unabhängigkeitbewegung im Risorgimento beflügelte, sind einer historisch begründeten Skepsis gegenüber Massenbewegungen gewichen, ohne dass Nabucco seine Faszination als musikalisches Gemeinschaftserlebnis eingebüßt hätte.“

„Così fan tutte“ von Wolfgang Amadeus Mozart

Als letzte Inszenierung aus der Saison 2008 haben wir einen Klassiker der komischen Oper für Sie: Wolfgang Amadeus Mozarts „Così fan tutte“, übersetzt: „So machen‘s alle (Frauen)“.

Inszenierung: Edmund Gleede
Musikalische Leitung: Cornelia von Kerssenbrock
Bühnenbild und Kostüme: Anna von Eicken

In der Oper wird den Frauen übel mitgespielt. Im Neapel des 18. Jahrhunderts rühmen sich zu Beginn der Handlung die jungen Offiziere Ferrando und Guglielmo, dass die beiden aus Ferrara stammenden Schwestern Dorabella und Fiordiligi, ihnen niemals untreu werden könnten. Don Alfonso, ein zynischer Mann von Welt, hat aber seine eigenen einschlägigen Erfahrungen und bietet darum Ferrando und Guglielmo ob ihrer Überzeugung eine Wette an. Beide gehen siegessicher darauf ein.

Währenddessen schwärmen sich die Frauen im Garten des Hauses gegenseitig von der unzerbrechlichen Liebe ihrer Partner vor. Da erscheint Don Alfonso scheinbar völlig aufgelöst und teilt ihnen mit, dass Ferrando und Guglielmo auf Geheiß des Königs in den Krieg ziehen müssen.

In einem Täuschungsmanöver, indem die Dorfbewohner sich als Soldaten verkleiden, ziehen Fernando und Guglielmo ab, kommen aber kurz darauf als fremde Adelige verkleidet zurück. Die Beiden beginnen die Freundin des jeweils anderen für sich zu gewinnen und werden immer wieder abgewiesen. Nach langem Hin und Her, bei dem sogar ein gefakter Selbstmord der Offiziere eine Rolle spielt, haben die Männer es geschafft und Eheverträge werden unterzeichnet. Gleich darauf lösen Ferrando und Guglielmo den Schwindel auf und es gibt ein Happy End.

Die weiße Couch

Am Rande der Bühne befindet sich in der Immlinger Inszenierung eine weiße Couch, auf der sich ein um das andere Mal die Hauptfiguren den Kummer von der Seele reden. Daneben sitzt der als Psychiater/Zuhörer fungierende Mozart, der fleißig in seinem großen Buch mitschriebt. Wer weiß, vielleicht wird aus dem Stoff ja mal eine Oper?

Wenn man sich den Titel und die Handlung der Oper einmal genau anguckt, kann es einem heutzutage doch etwas unwohl sein. Schließlich bezieht sich das italienische Wort ‚tutte‘ auf alle Frauen und nicht auf alle Menschen. Wenn man dann bedenkt, dass den Frauen in der Oper böse mitgespielt wurde, wird klar, dass Fernando und Guglielmo wohl alles andere als unschuldig sind. Diesen ‚Fehler‘ im Titel der Oper korrigierte die Inszenierung aus 2008 ganz einfach darin, dass Dirigentin zum Schlussapplaus das ‚tutte‘ ganz einfach überklebte. So lautete der Titel zum Schluss ‚Così fan tutti‘, also „So machen‘s alle (Menschen)“.

Dafür, dass Dorabella und Fiordiligi ihre Geliebten nicht erkannt haben (eine Tatsache, die im Libretto eher etwas unwahrscheinlich wirkt) hat Regisseur Edmund Gleede ebenfalls eine passende Lösung gefunden: die Beiden sind in seiner Inszenierung extrem kurzsichtig und müssen grobschlächtige Brillenungetüme benutzen, um klare Sicht zu bekommen. Diese verschwinden aber aus Eitelkeit ganz schnell in der Tasche, sobald Besuch kommt. Ein Glück für die beiden Offiziere, die die mit einem Maulwurf vergleichbare Sehfähigkeit ihrer Geliebten schamlos ausnutzen.