Rückblick auf das Jahr 2016

“Die Zauberflöte” von Wolfgang Amadeus Mozart

Inszenierung & Bühnenbild: Verena von Kerssenbrock
Musikalische Leitung: Cornelia von Kerssenbrock
Zauberflöte, bei diesem Titel hat jeder sofort eine der vielen Arien im Ohr, fängt vielleicht sogar sofort an, die Melodie des Vogelfängers Papageno zu summen. Eine Oper, deren Inszenierung man sich häufig als bunt, unterhaltsam und mit gutem Ende vorstellt, vor allem, wenn man sie bisher oft in verschiedenen Versionen für Kinder erleben durfte.
Doch oft lohnt es sich, tiefer in die Texte der Werke einzusteigen, um die oft weniger betrachteten Strukturen zu verstehen. Als wir für diesen Artikel bei der Regisseurin nachgefragt haben, hat sie uns auf einige andere Textstellen aufmerksam gemacht: So stammen zum Beispiel die folgenden Worte von Sarastro:

„Ein Mann muss Eure Herzen leiten, denn ohne ihn pflegt jedes Weib aus ihrem Wirkungskreis zu schreiten.“

Allgemein findet man im Libretto einige Textstellen, die aus heutiger Sicht eigentlich nicht mehr tragbar sind. So verliert beispielsweise die Königin der Nacht die Macht an Sarastro als ihr Mann stirbt und den Sonnenkreis nicht seiner Frau, sondern Sarastro vermacht. Seine Erklärung?
„Weib! Meine letzte Stunde ist da – Sarastro wird den Sonnenkreis so männlich verwalten wie ich bisher. Und nun kein Wort weiter; forsche nicht nach Wesen, die dem weiblichen Geschlecht unbegreiflich sind. Deine Pflicht ist, dich und deine Tochter der Führung weiser Männer zu überlassen.“

Wenn ein solches Werk im heutigen Kontext inszeniert und aufgeführt wird, muss ein/e RegisseurIn über genau solche Themen nachdenken:

  • Wie gehe ich mit kritischen Passagen um?
  • Wie weise ich das Publikum durch die Art der Darstellung darauf hin, dass einige Inhalte problematisch sein können?

Verena von Kerrsenbrock nutzt ihre Inszenierung von Klassen und anderen, klar definierten Strukturen um deutlich zu machen: Sarastro sieht sich als „allwissender Guru“, der an seiner Eliteschule die Erkenntnis des Seins lehrt, die nur dem männlichen Geschlecht vorbehalten ist und die Erfüllung im Jenseits findet. Die Frau hat sich dem Mann unterzuordnen und ihn auf seinem Weg zu unterstützen. Durch die Darstellung des Tamino als Flüchtling, der in der Welt keinen Anschluss findet, wird der Rassismus, der sich im Libretto befindet, noch deutlicher sichtbar.

Tauchen Sie in Verena von Kerssenbrocks imposante Bildsprache noch einmal ein:

Immling goes China
Die Schwestern von Kerssenbrock haben übrigens im gleichen Jahr eine Neufassung der Zauberflöte an der Musikschule Singhai / Guangzhou auf die Bühne gebracht. Neben Chuanliang Wang, der erneut in die Rolle des Tamino schlüpfte, begeisterten talentierte Nachwuchssängerinnen und -sänger zahlreiche chinesische Besucher für die zeitlose Oper.
„Musik zeigt, dass Grenzen nicht von Bedeutung sein sollten. Die Sprache der Musik ist für jeden Menschen egal welcher Couleur verständlich“ (C0rnelia von Kerssenbrock).

Viel Spaß mit ein paar Bilder der Produktion aus dem Fundus der Regisseurin:

Ba-Rock Oper „Rinaldo“ von Georg Friedrich Händel

Inszenierung: Ludwig Baumann
Musikalische Leitung: Cornelia von Kerssenbrock
Das Konzept der Ba-Rock Opern verbindet auf einzigartige Weise die klassische Barock Musik mit modernen musikalischen Einflüssen. Cornelia von Kerssenbrock hat damals im Gespräch mit dem Dramaturgen Florian Maier mehr über diese besondere Verbindung verraten
„Was uns sehr wichtig ist, ist die Vermittlung von Barockmusik, gerade auch an ein junges Publikum. Die Musik dieser Epoche führt ja eher ein Nischendasein. Ich glaube, dass man mit unserem „Immling Ba-Rock“ den Menschen zeigen kann, dass der Barock eine unglaublich starke Musik hervorgebracht hat, die die Emotionen wunderbar unterstreicht und auch sehr heutig ist. Auf dem Bass vertikal basierend ist der Grundaufbau vergleichbar mit heutiger E-Musik – wichtig ist mir dabei besonders die rhythmische Gestaltung der Barockmusik, die von vielen Tanzstücken der damaligen Zeit hergeleitet wird, und eine Aufführung im Stile der Praxis der damaligen Musik, die gerade das hervorhebt.“
So wird in Rinaldo das wesentliche Element der Barockmusik, die Rhythmik, verstärkt und so der Übergang zur heutigen Musik ermöglicht.
In der Inszenierung wird zum Beispiel Rockmusik verwendet, um die Schrecken des Krieges zu verdeutlichen oder die inneren Konflikte der Protagonisten darzustellen. Jedoch wurde Händels Oper nicht einfach von bereits vorhandenen Rocksongs unterbrochen, sondern eine musikalische Symbiose der verschiedenen Stile im Laufe der Proben entwickelt. “Im Probenverlauf improvisieren wir mit einer kleinen Rockband, die die moderne Musik immer in den jeweiligen Opernkontext einbettet. Ich halte es für grundlegend falsch, zu sagen: „So, jetzt ist die Barockmusik zu Ende, jetzt fängt die Rockmusik an.“ Beim „Immling Ba-Rock“ legen wir Wert auf fließende Übergänge.
HINTERGRUNDINFO
Die Mitglieder der Band und die Furien waren übrigens aus dem Jugendchor, der mit seinem Musicalprojekt Cats im Jahr 2016 das erste Mal auf der großen Bühne spielen durfte und Groß und Klein begeisterte.

Trailer zu "Rinaldo"

„Der Mond & Carmina Burana“ von Carl Orff

Inszenierung: Katrin Sedlbauer
Musikalische Leitung: Cornelia von Kerssenbrock
DIE INSZENIERUNG
Die Regisseurin erschuf eine Verbindung zwischen den zwei Werken Orffs in dem Narrativ des Erzählers, der dem Publikum in beiden Werken begegnet.
In „Der Mond“ geht es um vier Burschen, die zusammen den Mond stehlen. Als die vier nach einem langen Leben sterben, nimmt jeder ‚sein‘ Viertel des Mondes mit in die Unterwelt. Dort, aufgescheucht vom Licht des Mondes, beginnen die Untoten sich wieder zu regen.
Carl Orffs wohl bekanntestes Werk „Carmina Burana“ basiert auf dem „Codex Buranus“, einer Anthologie von mittellateinischen, seltener mittelhochdeutschen, altfranzösischen und provenzalischen Lied- und Dramentexten. Diese wurden im 11. und 12. Jahrhundert von zumeist anonymen Dichtern verfasst und 1803 in der Bibliothek des Klosters Benediktbeuern wiedergefunden.
Diese Wiederentdeckung forderte auch einige wenige Illustrationen zu Tage. Eine davon zeigt das Rad der Fortuna. Dieses Bild aus der Antike wurde durch die Klosterschulen im 13. Jahrhundert auch in die christliche Lehre übertragen. Das Rad der Fortuna beschreibt vier Stufen/Lebensstadien und wird auch im Text der Oper mehrmals erwähnt. Die Illustration zeigt vier menschliche Figuren mit der lateinischen Beschriftung links – regnabo (ich werde regieren), oben – regno (ich regiere), rechts – regnavi (ich habe regiert), unten – sum sine regno (ich bin ohne Königreich). Wie in der religiösen Lehre, als auch in Literatur und Theater war und ist das Rad der Fortuna ein oft verwendetes Symbol dafür, wie wankelmütig das Schicksal ist (Shakespeare beschreibt beispielsweise oft das tragische Schicksal der Könige seiner Historien-Dramen mit diesem Bild).
In der Inszenierung der beiden Orff-Werke „Der Mond & Carmina Burana“ setzt sich Regisseurin Katrin Sedlbauer mit dieser Thematik auseinander. Es etablieren sich schnell die Grundfesten eines Weltbildes, in dem die auftretenden Figuren in einem System wiederkehrender Motive gefangen sind. Dieses manifestiert sich insbesondere am Bühnenbild, das einen Gitterrahmen zeigt und somit die Grenzen der Welt sichtbar macht. Fortuna – das Schicksal – gibt diesen Rahmen vor, der die Existenz der Akteure bestimmt.
Verkörperung findet Fortuna in der Figur des Erzählers, der uns über die ganze Inszenierung hinweg begleitet. Im ersten Teil – „Der Mond“ – bestimmt er durch seine Erzählung die Geschichte, zeichnet die Wege der Figuren vor und unterdrückt eine individuelle Ausgestaltung derselben. Als Kreator ist der Erzähler sorgsam darauf bedacht, dass seine festgesetzten Normen eingehalten werden.
In den „Carmina Burana“ erfahren wir mehr über den Erzähler selbst. Es wird ersichtlich, welchen Zwängen er unterlegen ist und welche Freiheiten er sich selbst zugesteht. „Ratio“ und „Emotio“ stehen sich hier gegenüber. Der Wunsch des Erzählers, sein eigenes System hinter sich zu lassen, scheinbare Sicherheiten aufzugeben und seine Emotionen zuzulassen, hat Konsequenzen auf die anderen Protagonisten. So zum Beispiel der „Bariton“, der sich aufgrund seiner Zuneigung gegenüber dem „Sopran“ für die Liebe entscheidet und von dem Erzähler geschaffenem System lossagt. Dadurch wird eine Entwicklung in Gang gesetzt, die den Erzähler immer tiefer in einen inneren Konflikt stürzt. Es wird deutlich, dass Zwang und Freiheit untrennbar miteinander verbunden sind und sich gegenseitig bedingen – denn wer keine Widerstände überwinden muss, wird mit der Freiheit nichts anfangen können.
„Fortunas Rad, es dreht sich um! Mich Fallenden reißt es nieder, andere trägt es wieder hinauf. Allzu hoch erhoben sitzt der König im Zenith – fürcht` er tiefen Fall doch!“

„Carmen“ von Georges Bizet

Inszenierung: Stefan Tilch
Musikalische Leitung: Cornelia von Kerssenbrock
Das Arbeiten unter erschwerten Bedingungen hat den Regisseur jedoch schon 2016 im Rahmen der Inszenierung von „Carmen“ in Zusammenarbeit mit der musikalischen Leitung Cornelia von Kerssenbrock beschäftigt.
Anstatt einem Platz in Sevilla, einer Taverne oder unter Zigeunern ließ Stefan Tilch das Drama um die Hauptfigur Carmen in einem großen Konzern stattfinden. Dieser ist Veranstalter der erfolgreichen Show „The Biiiiig Fight™“, hinter deren Kulissen hierarchische Strukturen vorherrschen und einige Mitarbeiter sich in illegale Geschäfte verwickeln lassen.
„The Biiiiig Fight™“
Der Dramaturg Florian Maier hat sich damals mit dem Inszenierungskonzept, dem Arbeitsklima im Konzern hinter „The Biiiiig Fight™“ und den Konsequenzen für die Menschen in diesem System beschäftigt:
„Schneller, höher, weiter“ – unter diesem Ethos arbeiten auch heute die Mitarbeiter unzähliger Unternehmen. So auch Don José und seine Kollegen, deren Aufgabe darin besteht, „The Biiiiig Fight™“ auf einem konstant hohen Level zu dauerhaften Erfolgen zu führen. Für die Unternehmenshierarchie ist der einzelne Mitarbeiter mit seinen persönlichen Bedürfnissen jenseits des Arbeitsplatzes belanglos: Ein unbedingtes „Funktionieren müssen“ wird vorausgesetzt, der Einzelne ist austauschbar. Getreu dem Motto „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“ steht „The Biiiiig Fight™“ exemplarisch für ein geschlossenes System, das seinen Einfluss aus permanenter Überwachung zieht. Die Mitarbeiter werden zu „gläsernen Menschen“, „Erfolgskontrolle“ zum Leitgedanken – und Überbelastung zur Konsequenz.
Individuelle Wesensmerkmale sind nicht gewünscht, eher hinderlich in einem System, das gleich einer Maschine reibungslos seine gewohnten Leistungen erbringen soll. Der Mensch ist jedoch keine Maschine – und so wird durch die extremen Anforderungen der modernen Arbeitswelt immer wieder Devianz – abweichendes Verhalten – erzeugt. Während einige Mitarbeiter „arbeitssüchtig“, zu „Workaholikern“, werden, schlagen andere die Gegenrichtung ein: Einen Ausweg aus der Dauerbelastung suchend, greifen sie zu Drogen (durch Carmens Vorbild zusätzlich motiviert) oder vergnügen sich in eigenen, illegalen Geschäften.‘
All das präsentierte Stefan Tilch in seiner Version der Traditions-Oper „Carmen“ in der Festspielsaison 2016. Und wer weiß, vielleicht kann man auch im Jahre 2021 noch einmal darüber nachdenken, in welcher Welt wir leben und arbeiten wollen?

Trailer zu "Carmen"

TIPP
Als Intendant des Landestheater Niederbayern ist Stefan Tilch mit seinem Team auch in der jetzigen Zeit aktiv und präsentiert Online Opern Inszenierungen, wie zum Beispiel „Die Zauberflöte“ von Mozart, und weitere Angebote wie den Podcast „Espressivo“ mit Thomas Ecker. Vorbeischauen lohnt sich also auf alle Fälle!