Zuschauerkritik Turandot (2)

Turandot Rezension

Puccinis Turandot beginnt normalerweise sehr laut; nicht aber in der Inszenierung von Ludwig Baumann, die momentan noch auf Gut Immling zu erleben ist. Bevor die Bühne von den großen orchestralen Klängen der ersten Szene erzittert, fangen Ludwig Baumann und Dirigentin Cornelia von Kerssenbrock mithilfe eines traditionellen Volkslieds Chinas die exotische Magie eines chinesischen Kalligrafen, der in den Sonnenaufgang spaziert und Schriftzeichen auf die Bühne setzt, ein. Der Zuschauer kann nicht anders, als in die märchenhafte Geschichte Turandots, der schönen Prinzessin, die sich in einer eiskalten Hülle der Grausamkeit kleidet, zu versinken.

Mit dafür verantwortlich ist auch das sehr intelligente Bühnenbild. Zunächst wirkt es simpel und schlicht; in der Mitte stehen zwei breite, weiße Treppenaufgänge, die in einer Plattform enden, die sich zu beiden Seiten ausweitet. Die Farben bleiben auf Flächen einseitig und reichen nicht über die Farbspektren von schwarz, weiß und grau hinaus. Aber gerade diese Schlichtheit macht das Bühnenbild so genial, denn die Bühne kann so zum wandelbaren Ausgangspunkt unterschiedlichster inszenatorischer Einfälle werden. Und eins will gesagt sein; diese Möglichkeit wird sehr reich ausgeschöpft. Das clevere Blocking, die Lichtsetzung und eine klug gewählte Positionierung von Sängern und Statisten allein verwandelt die Bühne von einem großen Palast in eine chinesische Landschaft oder in eben eine große Leere, wenn Turandot und Prinz Calaf sich zum Schluss endlich nahe kommen und menschlich sein dürfen. Wunderbar ergänzt wird die Inszenierung dann durchgehend durch die Projektionen des Videodesigners Maximilian Ulrich, die sich gigantisch hinter dem Bühnenbild erstrecken.

Auch die Kostüme von Ekaterina Zacharova sind eine wahre Wucht und wunderbar vielschichtig. Meist sehr opulent und farbenfroh orientieren sie sich an traditioneller chinesischer Kleidung, lassen aber auch moderne Elemente einfließen; lediglich die Zusammensetzung der Kostüme von Prinz Calaf und seinem Vater wirkt in manchen Momenten etwas unentschlossen, was angesichts ihrer beeindruckenden Optik und ihrer passenden Bedeutung für das Stück allerdings so gut wie nichts nichts zur Sache tut; so stehen sie, könnte man interpretieren, mit ihren Jeans und auf der einen Seite als Außenstehende, mit ihrem traditionellen Gewändern auf der anderen Seite trotzdem als Teil der Welt Turandots. Calaf, der das farblich passende Fehlstück zur Prinzessin bildet, sucht und findet den Zugang in ihre Welt, sein Vater nicht.

Baumann schafft eine wunderschön fließendes Erzähltempo und meistert vor allem einen sehr schweren Spagat – den zwischen traditioneller und moderner Inszenierung, zwischen vergangener, märchenhafter, exotischer Opernmagie und intelligentem Umgang mit den eigentlichen Themen des Stücks und einem Bezug zur Heute-Zeit. Aber auch schauspielerisch und musikalisch befindet sich das Spektakel auf dem allerhöchsten Niveau. Puccinis letzte Oper gilt als besonders schwer für Orchester, Chor und Sänger. Eine Tatsache, die man der Immlinger Aufführrung gar nicht anmerkt. Trine Møller verleiht der für die Stimme besonders akrobatischen Partitur der Turandot sowohl grausame Kälte als auch eine auftauende Menschlichkeit und schafft es somit, die Figur vielschichtig abzubilden. Thomas Paul singt sich glaubhaft als romantischer Prinz in die Herzen der Zuschauer, wenn nicht schon dieser Platz von Beatriz Díaz, die süßlich die Dienerin Liù singt, eingenommen wurde (nicht nur, weil Liù die mit Abstand weiseste und sympathischste Figur des Stücks ist). Aber auch Aliahmad Ibrahimov (Kaiser), Luthando Qave, Yu Hsuan Cheng und Sergiu Saplacan (Ping, Pang und Pong), Ivo Stanchev (König Timur) Markus Nieminen (Mandarin) und David Malawski (Persischer Prinz) wissen sehr gut zu überzeugen. Ein akustisches Highlight bilden auch der Erwachsenen- und der Kinderchor, die beide groß besetzt sind und trotz des vielen Schauspiels die harten Melodien mit Perfektion meistern.

Zwischen der sehr atmosphärisch gestalteten Arie Nessun Dorma, der großen Hinrichtungsszene oder den Szenen Kung-Fu-Weltmeisterin Yan Tung Chan, die in einem besonders schönen Moment einer Horde kleiner Kinder ein paar Tricks beizubringen versucht, blitzt der Leim durch, der alle diese Elemente erst zusammenhält und eine Solche Aufführung erst ermöglicht; diesen könnte man wohl als den Geist von Immling bezeichnen. Die Leidenschaft für Oper, Musik und große Geschichten und die Mengen an Aufwand und Herzblut, die hinter dem Bühnengraben betrieben wurden und geflossen sind, sind zu jeder Sekunde spürbar. Dies ist wohl das Faszinierenste und Schönste an der Immlinger Turandot und einer der Gründe, warum man nicht zweimal drüber nachdenken sollte, eine Vorstellung zu besuchen.

Linus Land (Zuschauer Turandot am 5.7.19 – Abiturient)