Zuschauerkritik Turandot

Aliahmad Ibrahimov als Kaiser Altoum und Ensemble (Foto: Nicole Richter)


Das Spiel um Macht und Liebe

Farben. Überall Farben. Das sticht zuerst ins Auge. Vom sanften Pastell des großartigen, stets wechselnden Bühnenbildes mit viel Blau und Grün für Sehnsucht und Phantasie, Hoffnung und Erneuerung; über den Chor, der das Geschehen in Weiß und mit Maske umrahmt, Sinnbild für Trauer, Tod und Traum; bis zum leuchtenden Rot und Gelb der beiden Protagonisten.

Die russische Künstlerin Ekaterina Zacharova, Immling seit Jahren eng verbunden und bereits an mehreren Produktionen beteiligt, hat auch diesmal mit ihren Bildern die Vorlage geliefert, die Intendant und Regisseur Ludwig Baumann leicht verfremdet und über Video-Installationen in die Handlung verwoben hat. Auch die Kostüme sind von Zacharova entworfen, durchdacht und symbolträchtig bis ins Detail. So heben sich Thomas Paul als Calaf und Trine Moller als Turandot ab vom Rest des Volkes, stechen heraus in ihren grellen Farben, die die Gespaltenheit beider versinnbildlichen: Calaf in Rot als Farbe des Glücks, aber auch Symbol für Blut; Turandot in Gelb als Farbe des Leuchtens, aber auch der Macht und des Todes.

 Beide sind gefangen in ihrer eigenen, phantastischen Welt, beide spielen ihr Spiel um das, was sie Reinheit und Liebe nennen, was aber Macht und Besitzen-Wollen ist, dabei rücksichtslos den Tod vieler in Kauf nehmend. Auch den der treuen Liu, bewegend gesungen und gespielt von Beatriz Diaz. Und dennoch ist es Liu, die ihnen mit ihrem Selbstmord letztendlich zeigt, was Liebe bedeutet: sich selbst für den anderen zurückzunehmen.

Diese Erkenntnis verinnerlichen Calaf und Turandot am Ende der Oper: Baumann läßt sie ihre Kostüme ablegen, den Chor seine Masken – das Trugspiel ist vorbei.  Denn die wahre Lösung aller Rätsel heißt Liebe, Liebe als Hingabe. Rot und Gelb werden in Gedanken des Zuschauers zu Orange, zur Weisheit des Buddha.

Turandot ist ein monumentales, schwieriges Werk und oft nur mit großem Chor und sehr viel Technik wirkungsvoll umzusetzen. Cornelia von Kerssenbrock als Dirigentin und Baumann haben mit ihrem tollen Team aus Sängern, Musikern und vielen weiteren Künstlern auf und hinter der Bühne eine hinreißende Symbiose aus Technik und Mensch geschaffen, aus Theater und Musik, aus Tradition und modernen Elementen. Der Besucher nimmt vom ersten bis zum letzten Ton gebannt am Geschehen teil, lacht mit Luthando Qave, Yu Hsuan Cheng und Sergiu Saplacan als Ping, Pang und Pong, fühlt mit Alihmad Ibrahimov als Kaiser, leidet mit Ivo Stanchev als Timur, zittert mit Calaf, hasst mit Turandot, wird eins mit dem Chor als chinesisches Volk und weint um Liu – immer gefangen zwischen Traum und Wirklichkeit, gebannt vom Nachklang der intonationssicheren Stimmen des Kinder- und Erwachsenenchores, vom kraftvollen, sonoren Klang der männlichen Protagonisten bis zum vollen, kalt-verzweifelten Sopran Turandots und der leisen, zarten und damit so mitreißenden Sterbeszene Lius.

Nach fast 3 Stunden Spielzeit erwacht der Zuschauer aus diesem Opern-Traum innerlich gereinigt: Karthasis durch Mit-Fiebern, Theater vom Feinsten! Unbedingt ansehen!

Anette Land (Zuschauerin Turandot-Vorstellung am 9.7.19