Don Giovanni

Eine Rezension von Anette Land

Don Giovanni – gefangen zwischen Pumps und Puppen

Zwei Stunden – von fünf bis sieben Uhr morgens am Tag der Uraufführung – reichten Mozart, um die Ouvertüre zu Don Giovanni zu schreiben.
Über die langsame Einleitung mit den Komtur-Motiven in D-moll bis zur schnellen Überleitung in den ersten Auftritt in D-dur, als Zeichen für eine Oper zwischen Tragödie (2 Tote) und Komödie, zu der vor allem die Figur des Leporello, stimmlich und komödiantisch mitreißend verkörpert von Ilya Lapich, beiträgt.
Und deutlich mehr als zwei Stunden gelingt es dem Immling-Ensemble unter der musikalischen und Regie-Leitung von Cornelia und Verena von Kerssenbrock, den Zuschauer in den Bann zu ziehen.

Don Giovanni, viel gespielt und interpretiert: als jugendlicher Draufgänger, abstoßender Lebemann, nach Erlösung suchender Romantiker. In Immling ist der stimmgewaltige Modestas Sedlevicius als Don Giovanni Sammler. Schuh-Sammler. Gefühlt 2065 Paare für 2065 Eroberungen, Schuhe in allen Farben und Formen, stellvertretend für seinen vielfältigen Frauengeschmack: “egal ob sie groß oder klein, dick oder dünn, gebildet oder nicht gebildet sind. Er liebt sie einfach.” Aber liebt er sie? Und sie ihn?

Liebe und Erotik flackern in Immling lediglich in Zusammenhang mit Zerlina und Masetto (bewegend gesungen und gespielt von Anastasia Churakova und Simon Duus) auf, und auch nur hier erlebt der Zuschauer ausgelassene Fröhlichkeit: ihre Hochzeit gleicht einem südländischem Volksfest, zu dem eine Art Zydeco-Folk-Band moderne Tanz-Rhythmen auf die Bühne zaubert. Ganz anders die im Anschluss von Don Giovanni veranstaltete Feier: statt ausgelassene Partygäste darzustellen, liegen die Choristen hier als traurige Alkoholleichen auf dem Boden.

Denn obwohl Don Giovanni Frauen sammelt, kann er sie nicht besitzen, geschweige denn lieben. So umgibt er sich mit ihren Schuhen als Trophäen. Schuhe, im spanischen 17. Jahrhundert Symbol ehelicher Treue und Keuschheit, Schutz und Selbstbestimmung. Indem er Frauen die Schuhe nimmt, nimmt er ihnen scheinbar auch all dies. Doch es sind auch Schuhe, die seine Unfähigkeit zu echten Gefühlen verraten (Donna Elvira, der einzigen Frau, die ihn wirklich zu lieben scheint, wirft er sie verächtlich vor die Füße), und Schuhe, die ihn enttarnen (Donna Anna entdeckt die ihren in seiner Sammlung).

Damit hat Verena von Kerssenbrock das Frauenbild des 17. Jahrhunderts auf den Kopf gestellt, denn die Frauen legen hier ihre passive Opferrolle ab und gestalten aktiv das Geschehen. Donna Anna (Lussine Levoni) verweigert sich der von ihrem Vater (Tuncay Kurtoglu mit Goldkette unter offenem Hemd und sonorem Bass als Komtur) arrangierten Ehe mit Don Ottavio (Jenish Ysmanov als unmännlich-höriger, aber schauspielerisch und gesanglich überzeugender Bräutigam), Zerlina erliegt nicht Don Giovannis Charme, sondern dem prächtigen Hochzeitskleid, das am Angelhaken von der Decke schwebt, und Donna Elvira (Forooz Razavi), hin- und hergerissen zwischen Hass und dem Wunsch nach Liebe, trägt letztendlich zu seiner Vernichtung bei. Und währenddessen erscheint im Hintergrund immer wieder die Unnahbarkeit als schwarzgekleidete Matrone (Judith Pfister), als Mutter Don Giovannis, als Ursprung allen Übels? Sie scheint die einzige Frau zu sein, deren Liebe er wirklich sucht – aber auch hier vergeblich. Noch während er in die Unterwelt hinabrutscht, greift er nach ihr, doch sie bleibt unerreichbar.

So ist es nur folgerichtig, dass in dieser gefühllosen Schein-Welt Frauen durch Puppen ersetzt werden. Fünf sind es insgesamt, sie durchziehen die gesamte Handlung: in der Ouvertüre marionettenhaft im Domina-Kostüm, dann reduziert auf verführerische Frauenbeine, die ihn aus verschlossenen Räumen locken, später im weißen, blutbefleckten Hochzeitskleid, zum Schluss in Totenmaske. Fünf ist in westlichen wie östlichen Kulturen die Zahl der Liebesgöttin Venus, die Zahl der bedingungslosen Liebe. Eine von Don Giovanni derart gelebte Anti-Liebe kann nur mit seinem Tod enden.

Also doch eher Tragödie?
Der komödiantische Aspekt blitzt noch einmal auf, nachdem der letzte Ton verklungen ist. Don Giovanni steigt aus der Unterwelt empor, unter donnerndem Applaus harmonisch vereint mit allen alten, jungen, dicken, dünnen, echten, unechten Frauen seines Lebens. Ein insgesamt großartiger Don Giovanni, der nachdenklich stimmt und nachwirkt – auch über die Aufführung und den Zeltbesuch hinaus!
Anette Land