Rückblick auf das Jahr 2005

Wir gehen ein Jahr zurück in der Kulturgeschichte Immlings und landen damit diese Woche im Jahr 2005. Als erste Inszenierung aus diesem Jahr tauchen wir tiefer in „Tosca“ von Giacomo Puccini ein. Vor welchem historischen Hintergrund spielt die Oper? Und was hat es mit Puccinis Aussage „Bis jetzt waren wir sanft, jetzt wollen wir grausam sein.“ auf sich?

“Tosca” von Giacomo Puccini

Regie und Ausstattung: Verena von Kerssenbrock
Musikalische Leitung: Cornelia von Kerssenbrock

Das Drama „La Tosca“ von Victorien Sardou, das die literarische Vorlage für die beiden Librettisten Giuseppe Giacosa und Luigi Illica lieferte, stammt aus dem Jahre 1887 und wurde somit nur 13 Jahre vor der Uraufführung der Oper veröffentlicht. Auch wenn die einzelnen Figuren und die Handlung des Dramas und der Oper fiktiv sind, ist der Hintergrund, vor dem das tragische Schicksal der Sängerin Tosca und ihres Geliebten Cavaradossi spielt, ein historischer. Diesen beschreibt Verena von Kerssenbrock in ihrem Regiekonzept:

Wir befinden uns in Rom, im Juni 1800

„Wir befinden uns in Rom, im Juni 1800. In Koalitionskriegen muss sich die junge Französische Republik der heftigen Angriffe der alten europäischen Königreiche erwehren. Napoleon Bonaparte ist Symbol der jungen Republik. Die Italiener stehen zu Frankreich, denn es bietet gegenüber Österreich Garantie für die Erringung der nationalen Freiheit. Nur die Bauern, von Adel und Klerus aufgeputscht, kämpfen erbittert gegen die Franzosen.

Alles was sich an republikanischer Begeisterung regt…

Napoleons verbissene Gegnerin ist Maria Carolina, Tochter von Maria Theresia und Gattin des schwächlichen Ferdinand IV. Ihr Kampf gilt nicht nur dem militärischen Gegner. Alles was sich an republikanischer Begeisterung, an Voltaire – Geist in ihren italienischen Untertanen regt, wird von ihr gnadenlos unterdrückt.

Sie wird gezwungen, mit dem Hofstaat nach Sizilien zu fliehen. Doch dann fällt 1799 Rom nach schweren Kämpfen in die Hände der königlich- neapolitanischen Truppen zurück. Carolina kehrt zurück und rechnet ab. Es beginnt, wie nicht zum ersten Mal in der Geschichte, eine grausame ‚Säuberung‘, die Jagd auf ‚Verräter‘ und ‚Kollaborateure‘. Zehntausende schmachten ohne Urteilsspruch in den Kerkern. Tausende werden nach schrecklicher Folterung umgebracht.“

Tosca stürzt sich von der Engelsburg in den Tod

Dieser Hintergrund spannt sich wie ein Spinnennetz über das Geschehen. Der Maler Mario Cavaradossi hilft dem entflohenen politischen Gefangenen, Cesare Angelotti, ehemals Konsul der Republik auf der Flucht. Der Polizeichef, Scarpia, der seine Brutalität hinter seinen politischen Ambitionen versteckt, ist auf Angelottis Fährte und deckt Cavaradossis Beihilfe zu dessen Flucht auf. Seine Geliebte, Opernsängerin Tosca, wird ebenfalls von Scarpia begehrt. Als Gegenleistung zu Cavaradossis Freiheit, soll sich Tosca ihm hingeben. Als Scarpia sich mit Gewalt nehmen will, was er verlangt, ersticht Tosca ihn. Trotz Scarpias Tod wird Cavaradossi hingerichtet. Tosca, verfolgt von den Schergen Scarpias, stürzt sich von der Engelsburg in den Tod.

Es ist ein Werk über die Machenschaften der Politik und der Brutalität, von der es kein Entrinnen zu geben scheint. Selbst über Scarpias Tod zeiht sich das Spinnennetz seiner Grausamkeit über das Liebespaar zusammen. In „Tosca“ sind Menschen, die das Unheil bringen, nicht das unbeeinflussbare Schicksal, wie es beispielsweise in Puccinis „La Bohème“ der Fall ist. Und genau diese menschengemachte Grausamkeit war dem Komponisten wichtig. So beschreibt er seine Pläne zu „Tosca“ an seinen Librettisten Giacosa:

“Die Stimmung der Tosca ist nicht romantisch und lyrisch, sondern leidenschaftlich, qualvoll und düster.”

„Das Drama stellt uns eine ganz andere Aufgabe als La Boheme. Die Stimmung der Tosca ist nicht romantisch und lyrisch, sondern leidenschaftlich, qualvoll und düster. Hier haben wir es nicht nur mit liebenswürdigen, guten Menschen zu tun, sondern auch mit abgefeimten Schurken wie Scarpia und Spoletta. Und unsere Helden werden diesmal nicht weichherzig sein wie Rudolfo und Mimi, sondern entschlossen und tapfer…Mit einem Wort, wir brauchen hier einen anderen Stil. Mit La Boheme wollten wir Tränen ernten, mit Tosca wollen wir das Gerechtigkeitsgefühl der Menschen aufrütteln und ihre Nerven ein wenig strapazieren. Bis jetzt waren wir sanft, jetzt wollen wir grausam sein.“

Fokuspunkt ist ein großes Stahlkreuz

Auch das Bühnenbild spiegelt diesen Gedanken wider: Fokuspunkt ist ein großes Stahlkreuz, das sich während des Stückes in seiner Position immer wieder von drohend über dem Geschehen schwebenden Symbol bis hin zum auf der Bühne liegenden Podest verwandelt.

Eine eindrucksvolle Inszenierung, die Verdis großes Drama um Freiheit, Freundschaft, Verrat, Staatsräson und religiösen Fanatismus eindrucksvoll in Szene setzt.

Zwei Klassiker des Verismo (etwa 1890 – 1920)

„Cavalleria Rusticana“ (Pietro Mascagni) und „Pagliacci“ (Ruggero Leoncavallo)

Inszenierung: Stefan Tilch
Musikalische Leitung: Ivan Anguelov
Bühnenbild: Charles Cusick-Smith.

Mit „Cavalleria Rusticana“ (zu deutsch: Sizilianische Bauernehre) gewann Pietro Mascagni 1889 den Einakter-Opernwettbewerb des italienischen Musikverlegers Sonzogno. Die Oper erhielt den ersten Preis und wurde bei ihrer Uraufführung im Jahr darauf einer der größten Erfolge der Musikgeschichte. Eine unglaubliche Wendung für Mascagni, der zuvor trotz seinem sehr kompetenten Komponisten-Freund Giacomo Puccini (z.B. „Madama Butterfly“, „Tosca“ und „La Bohème“) sein Musikstudium abgebrochen hatte, da es ihm zu trocken war und daraufhin mit einer fahrenden Operntruppe durchs Land gezogen war.  Mit seinem Sieg war er über Nacht zum Star der italienischen Opernszene geworden und genoss den plötzlich erworbenen Ruhm und Reichtum.

Seine nächste Oper, „L’amico Fritz“ war schnell komponiert, wurde aber eher enttäuscht aufgenommen. Sein nächster Erfolg wurde die darauffolgende Oper „Guglielmo Ratcliff“, die vom Publikum wie von Kritikern gefeiert wurde. Er schrieb weitere Opern, die zwar von Kennern geschätzt wurden, welche eine Verfeinerung seines persönlichen Stils konstatierten, aber beim großen Publikum und für die Nachwelt blieb „Cavalleria Rusticana“ der unerreichte Geniestreich des Komponisten.

Auch Nicht-Opernfreunden ist die Musik der Oper bekannt, prägt sie doch den Schlussteil von „Der Pate – Teil III“: Die letzten 15 Filmminuten sind mit dem Finale der Oper unterlegt; die dramatische Schlussszene und den Tod Don Corleones untermalt das wohlbekannte Zwischenspiel.

Auch wenn Mascagni den wachsenden Erfolg seines Freundes Giacomo Puccini mit großer Eifersucht verfolgte, und 1911 sogar behauptete, die Zeit des Verismo sei zu Ende, so gilt Mascagni, zusammen mit Puccini und Leoncavallo zu den wichtigsten Vertretern des Verismo.

Nach einigen Jahren als Klavier- und Musiklehrer und mehreren erfolglosen Versuchen, Opern auf die Bühne zu bringen, erlebte Ruggero Leoncavallo 1890 den großen Erfolg von Mascagnis „Cavalleria Rusticana“ mit. Daraufhin komponierte er seine eigene Verismo-Oper, „Pagliacci“ (im deutschen Sprachraum auch ‚Der Bajazzo‘ genannt). Die Handlung dafür geht auf einen Mordfall zurück, den er in seiner Kindheit in Kalabrien miterlebt hatte. Sie wurde 1892 in Mailand uraufgeführt und war ein sofortiger Erfolg. Es ist sein einziges Werk, das noch heute Teil des Standard-Opernrepertoires ist.

Die Kombination der beiden Opern ist jedoch nicht nur auf historischer Ebene begründbar, auch inhaltlich finden sich Verbindungspunkte: Beide Opern führen uns mit Eifersuchtsgeschichten tief in die Besonderheiten der (süd-)italienischen Mentalität: Die ‚bäuerliche Ritterlichkeit‘ der „Cavalleria Rusticana“ schildert archaische Rituale im ländlichen Sizilien. Ein Rivalitätskonflikt um eine Frau wird zwischen dem Bauern Turiddu und dem Fuhrmann Alfio (um dessen Frau Lola, für die Turiddu die alleinstehende Santuzza verlassen hat,) im traditionellen Messerkampf ausgefochten.

»Der Bajazzo« stellt direkt die Frage nach dem »Echtheits«-Gehalt der vorgestellten Handlung. Die Komödianten Canio, Nedda, Beppe und Tonio finden sich in der Situation wieder, dass die von ihnen gespielte Ehebruchs-Geschichte ein allzu reales Spiegelbild ihres wirklichen Lebens darstellt. Als der gehörnte Ehemann im Spiel seine Ehefrau zur Rede stellt, verschwimmen für ihn die Grenzen zwischen Spiel und Realität. Angefeuert vom Publikum, das von der Leidenschaft und Authentizität des Spiels begeistert ist, ersticht Canio seine Ehefrau Nedda. Ein Spiel mit der Wahrheit und des Theaters, dass Tonio schon im Prolog der Oper ankündigt:

Hört denn! Laßt euch im Schauspiel rühren

der Liebenden Schicksal, das eurem oft gleicht.

Den Haß seht wüten, den Neid seht nagen, bis das

Maß der Schuld erreicht ist und die Hölle fordert lachend ihren Lohn!

O glaubt mir: wie euch schlägt voll Lust und Leid

auch in des Gauklers Brust ein Herz; sowie euch quillt

lindernd mir die Träne, wenn ihn bedrückt ein Schmerz.

Wir alle auf Erden wandeln im gleichen Licht bis am Ziel,

ob arm oder reich, jedem das Auge bricht.

Wie mein Dichter die Welt nun sah, hab’ ich verraten!

Seht nun sein Werk.

(in die Szene rufend)

Macht fort! Das Spiel kann beginnen!

Danke an Peter Litvai für die Inszenierungsfotos.