Rückblick auf das Jahr 2010

„Die Gärtnerin aus Liebe“  von Wolfgang Amadeus Mozart

Inszenierung: Isabel Ostermann
Musikalische Leitung: Cornelia von Kerssenbrock

Konventionell?

Diese Inszenierung fiel in der Saison 2010 so ganz aus dem konventionellen Rahmen. Die allererste Akademie-Produktion Immlings, „Die Gärtnerin aus Liebe“  weihte die neuen ‚Lustgärten‘ ein, die für diese Saison eigens kreiert wurden. Unter freiem Himmel zwischen Blumen und vor einem atemberaubenden Sonnenuntergang feierte die Aufführung mit ihrem spielerischen, verführerischen und lustvollen Konzept große Erfolge.

Sex and Crime

Die „Sex and Crime“-Oper, wie sie Intendant Ludwig Baumann damals bezeichnete, wurde unter dem italienischen Namen „La finta giardiniera“ (die falsche Gärtnerin) am 13. Januar 1775 in München uraufgeführt. Als Mozart anfing, den Stoff für seine zweite komische Oper überhaupt zu bearbeiten, war er gerade 18 Jahre alt.

Achterbahn

Das Werk handelt von romantischen Irrungen und Wirrungen, Eifersucht und Mordversuchen. Unter dem Einfluss der Sturm und Drang Epoche finden sich in der Oper viele musikalische Stellen, die auf höchste emotionale Identifikation des Publikums mit den Figuren ausgelegt sind (vgl. Nicholas Till), die genau diese emotionale Achterbahnfahrt unterstützen.

Mord?

Die Vorgeschichte der Oper erzählt von einem heftigen Streit zwischen dem Graf Belfiore und seiner Geliebten, die Marchesa Violante. Dieser verletzt sie in rasender Eifersucht schwer mit einem Dolch. In der Angst, Violante getötet zu haben, flieht er. Doch Violantes Verletzungen heilen und sie glaubt immer noch an ihre Liebe zum Grafen. Sie verkleidet sich als Gärtnerin und macht sich, in Begleitung ihrer treuen Dienerin, auf die Suche nach Belfiore.

In den Immlinger Lustgärten wurde die Spielfreude der jungen OperndarstellerInnen schamlos ausgenutzt. Ob auf Tischen, Leitern oder in Badewannen, in Lederhosen oder fantasievoll bemalten Kostümen, Isabel Ostermanns erfrischendes Regiekonzept begeisterte das Publikum. Und die wunderbare Kulisse gab ihren Rest dazu. Eine ganz besondere Inszenierung, die wohl ZuschauerInnen wie DarstellerInnen so schnell nicht vergessen werden.

„Der fliegende Holländer“  von Richard Wagner

Inszenierung: Verena von Kerssenbrock

Es scheint, als gäbe es zwei Arten von Menschen. Die, die Legende des fliegenden Holländers aus der gleichnamigen Oper von Richard Wagner kennen und die, die sich an die Flying Dutchman und der damit verbundenen Crew von Davy Jones aus der erfolgreichen Filmreihe „Fluch der Karibik“ erinnern.

Wenn wir heute auf die Inszenierung der Oper aus dem Jahr 2010 zurückblicken lohnt es sich, auch einen Blick auf die Sage zu werfen, die Wagner zur Komposition dieses Werkes inspiriert hat.

Die Legende

Kern der Legende ist ein niederländischer Kapitän des 17. Jahrhunderts, der beim Versuch, das Kap der Guten Hoffnung zu umschiffen, schwört, bis zum Jüngsten Tag zu segeln, wenn es sein muss. Er lädt also durch eigene Schuld einen Fluch auf sich. Dieser zwingt ihn dazu, bis zum Tag des Jüngsten Gerichts weiter zu segeln, falls er nicht durch einen besonderen Umstand Erlösung findet. Zwischen der Figur des Kapitäns und dem Schiff wird häufig kaum unterschieden. Es ist also unklar, ob der Name „Fliegender Holländer“ dem Kapitän oder dem Schiff geziemend ist.

Erweitert wird die Geschichte durch die Möglichkeit der Erlösung: Alle sieben, zehn oder hundert Jahre darf der verfluchte Kapitän an Land. Wenn er dort eine Frau findet, die ihn aufrichtig und treu liebt, so würde er Erlösung finden. Vor Wagner war diese Erlösung als unerreichbar und unmöglich angesehen, auferlegt, um den Kapitän zu ewiger Irrfahrt zu verdammen.

Das Erlösungsmotiv

Erst Wagner gibt diesem Motiv der Erlösung durch die Liebe und den Tod den Charakter der Möglichkeit. Senta, die zwischen der mystischen und unwirklichen Gestalt des Holländers und ihrem ehemaligen Geliebten Erik hin und her gerissen ist, entscheidet sich für den Holländer. Der Kapitän, der lieber auf ewig verdammt ist, statt Senta in Gefahr zu bringen, geht zurück auf sein Schiff. Mit der Aussage, ihm „treu (…) bis in den Tod“ zu sein, stürzt sich Senta von einem Felsen ins Meer. Das Geisterschiff versinkt in der Tiefe der See und der Holländer ist erlöst. Erst eine spätere Bearbeitung der Musik (1860) erlaubt Raum für das „Erlösungsmotiv“ und die Interpretation, dass der Holländer und Senta zusammen in den Himmel aufsteigen.

Und wieder ist es die Liebe ….

Eine Geschichte, die zwischen den Welten der Wirklichkeit und Unwirklichkeit spielt, die Geister und Flüche heraufbeschwört und in deren Kern wieder einmal die Liebe einer Frau steht. In Verena von Kerssenbrocks Inszenierung spürt man dieses Spannungsfeld in den Visionen, die Senta immer wieder erlebt. Die Beziehung zwischen ihr und dem Holländer scheint sich immer wieder zu wiederholen, schon lange gewesen zu sein oder nicht real zu sein. Die Zuschauer der Produktion aus dem Jahre 2010 mussten ihre eigene Antwort auf die zentrale Frage der Inszenierung finden: Was ist real?

“Carmen“ von Georges Bizet

Regie und Bühnenbild: Tassilo Tesche
Musikalische Leitung: Cornelia von Kerssenbrock

„Carmen“ ist ein Opernschlager, das ist kein Geheimnis. Der Vierakter aus der Feder von Georges Bizet und dem Libretto von Henri Meilhac und Ludovic Halévy zieht seit je her das Publikum mit einer mitreißenden, emotionalen und tragischen Handlung an.

Diese stammt aus der gleichnamigen Novelle von Prosper Mérimée. Darin erschafft Mérimée nach eigener Aussage die Figur der Carmen in Anlehnung an die Geliebte eines berüchtigten spanischen Deserteurs und Banditen namens Don José Maria Zempranito in den 1830ern. Des Weiteren ließ er Eigenschaften einer gewissen Carmencita einfließen, der Frau eines Grafen von Montijo. Diese war eine Zigarettenarbeiterin in Granada, bis der Graf sie entdeckte, sich in sie verliebte und sie gegen den Willen seiner Familie heiratete. Der Autor selbst behauptete, als Gast bei der Familie des Grafen von diesem Familienskandal erfahren zu haben.

Auch wenn „Carmen“ formal eine Opéra-comique ist und auch als solche bezeichnet, stellt das Werk einen starken Bruch mit dieser Operngattung dar. Die realistische Milieuschilderung, Dramatik und schicksalhafte Tragik machten sie zu einem Vorläufer des Verismo, einer Stilrichtung der italienischen Oper zwischen etwa 1890 und 1920. Die Uraufführung am 3. März 1875 in der Opéra-Comique in Paris wurde eher ablehnend aufgenommen. Bald darauf jedoch wurde Carmen zu einem der größten Welterfolge der Operngeschichte, den der Komponist allerdings nicht mehr erlebte.