Rückblick auf das Jahr 2013

“La Traviata” von Giuseppe Verdi

Inszenierung: Waltraud Lehner
Musikalische Leitung: Cornelia von Kerssenbrock
Die Handlung

Die Handlung verfolgt das Schicksal der schwerkranken Protagonistin, die Mätresse Violetta. Von der feinen Pariser Gesellschaft geächtet, findet sie die wahre Liebe und kurz darauf den Tod. Die Münchner Regisseurin Waltraud Lehner konserviert den berührenden Stoff nach Alexandre Dumas’ „Kameliendame“ in einer zeitlos schlichten Inszenierung und modernisiert die Thematik der Krankheit, indem sie Violetta nicht an Schwindsucht sondern an Krebs sterben lässt. Ein berührender Moment, als Violetta sich zu Ende der Inszenierung die Perücke vom Kopf zieht und ihrem Schicksal entgegenblickt.

 

Doch wer ist die Titelfigur Violetta Valery?

Die Regisseurin Waltraut Lehner über “La Traviata”, die vom Weg Abgekommene:

Wer ist die Titelfigur aus Verdis 1853 in Venedig uraufgeführter Oper? Als Titel hatte Giuseppe Verdi ursprünglich Amore e morte – Liebe und Tod – vorgesehen, aber nachdem nahezu alle Opern von Liebe und Tod handeln, entschied sich der Komponist für den Titel La Traviata.

Auf der Textvorlage der Kameliendame von Alexandre Dumas basierend steht bei Verdi weniger der voyeuristische Einblick in das zwielichtige Leben der Pariser Halbwelt im Vordergrund, sondern vielmehr der Blick auf eine von fadenscheinigen Moralvorstellungen verhinderte Liebesgeschichte zwischen Violetta Valery und Alfredo Germont. In seinem berühmten Brief aus der Zeit der Komposition schrieb Verdi am 1. Januar 1853:

„In Venedig mache ich die La Dame aux camélias, die als Titel vielleicht Traviata bekommt. Ein zeitgenössisches Sujet. Ein anderer hätte es vielleicht nicht gemacht wegen der Kostüme, der Zeiten und wegen tausend anderer alberner Skrupel. Ich mache es mit ganzem Vergnügen.”

Aber wer war die Traviata in der Historie?

Als historisch verbürgtes Vorbild gilt die in ärmlichen Verhältnissen 1824 in Paris geborene Rosa Alponsine Plessis. Sie wurde unter dem Namen Marie Duplessis zu einer bildschönen Edelprostituierten. In den höchsten Pariser Kreisen kam sie mit Grafen, Baronen und Außenministern Frankreichs ebenso in Berührung, wie sie von Franz Liszt nicht nur Klavierunterricht bekam. Sie starb 1847 an Tuberkulose und wurde ein Jahr später von Alexandre Dumas in seinem Roman von 1848 wieder zum Leben erweckt: La Dame aux camélias – Die Kameliendame. Seine eigene Affäre in diesem Roman verarbeitend erschien Dumas’ Text in leicht modifizierter Fassung 1852 auch als Theaterstück. beide Texte avancierten in kürzester Zeit zu Bestsellern in Paris.

 

„Lucia di Lammermoor“  von Gaetano Donizetti

Inszenierung: Verena von Kerssenbrock
Musikalische Leitung: Cornelia von Kerssenbrock
Kostüme: Wiebke Horn
Bühnenbild: Claus Hipp, Verena von Kerssenbrock
Einführung

Lucia teilt ihr Schicksal mit der wohl berühmtesten Liebenden der Weltliteratur: Julia, die mit ihrem Romeo erst im Tod vereint sein durfte. Donizettis Lucia kann wegen Familien-Feindschaften ihre Liebe zu Edgardo ebenfalls nicht leben und flüchtet sich in den Wahnsinn.

Wie Romeo und Julia versuchen Edgardo (Xavier Moreno) und Lucia (Tatiana Larina) sich aus den Verstrickungen alter Familienmuster zu befreien. Doch die über Jahrhunderte vermittelten Traditionen und Erblasten drücken schwer auf den beiden Verliebten.

Das Bühnenbild

Genau diese Tatsache wird im Bühnenbild aufgegriffen. Es besteht aus einer Ahnengalerie, schwere Rahmen und Gesichter prägen den Blick auf das Geschehen. Vor diesen scheint es kein Entkommen zu geben. Die Augen der Urgroßväter und -mütter blicken würdevoll und drohend auf Ihre Nachfahren. Die Nebellandschaft, die diese Bilder umgibt, suggeriert Freiheit, erweist sich jedoch sehr bald als Gefängnis. Erst bei genauerem Betrachten wird klar, dass sich die Rollen in einem geschlossenen Raum befinden. Es gibt kein Entrinnen. Bei Lucia wie auch bei Edgardo bestimmt das adelige Familienerbe ihr Schicksal.

Sie hoffen durch eine gemeinsame Liebe die Fesseln zu sprengen, aber die Erblasten und der Druck der Väter ist zu groß, um sich loszusprechen.

Im Laufe der Oper verändert sich das Bühnenbild. Das Gefängnis zerbricht, es tun sich Risse auf, Wände verschieben sich und fehlen schließlich ganz. Man hofft auf Freiheit, Weite, Licht, doch stattdessen breitet sich immer mehr schwarze Dunkelheit aus. All die Intrigen und Machtspiele, die auf Lucia einwirken, lassen sie weiter in eine andere Welt fliehen, da ihre Seele in der realen Welt zerbrochen ist. Doch diese Welt wird von den düsteren Schatten der Ahnen beherrscht. Die dunklen Gestalten ihrer Vorfahren, die für sie mehr und mehr Wirklichkeit werden, drängen sie immer mehr in sich zurück, nehmen ihre letzte Kraft.

Ihre letzten kümmerlichen Hilfeschreie werden nicht gehört, wollen auch nicht gehört werden. Ihre Umwelt, eine Welt von herrschgewohnten Männern ist geblendet von ihren eigenen Bedürfnissen. Für sie ist Lucia nur ein Mittel zum Zweck.

Victor Benedetti als Enrico

Wer sich “Cruda funesta smania” von Enrico (Victor Benedetti) noch einmal anhören möchte, für den haben wir hier eine Privataufnahme des Künstlers gefunden:

„Alcina“ von Georg Friedrich Händel

Inszenierung: Christine Cyris
Musikalische Leitung: Cornelia von Kerssenbrock
Das Ba-Rock Konzept als Ausgangspunkt

„Ich liebe die Barockmusik, weil sie so viel Power hat und von solch großen Emotionen getragen wird. Durch die Einflüsse des Tanzes ist die Musik dieser Epoche rhythmisch stark geprägt und gar nicht weit entfernt von unserer heutigen Rockmusik.“, so die Dirigentin im Gespräch mit Julia Binder für das Programmheft der Saison.

Die Inszenierung

Diesen konzeptionellen Ansatz hat die junge Regisseurin Christine Cyris in die szenische Umsetzung der Oper weitergeführt und sich in der Inszenierung auf einen starken Bezug zur Moderne fokussiert:

„Barockoper kommt heute oft in einem scheinbar jungen, frischen Gewand daher. Der Inhalt bleibt dabei der gleiche wie vor 450 Jahren.

  • Was aber kann uns heute eine Figur wie Alcina, eine in jeder Hinsicht äußerst moderne Frau, lehren?
  • Welche neuen Sichtweisen kann sie uns eröffnenß?
  • An welche menschlichen, sehr modernen Abgründe kann sie uns heranführen?

Dem nachzugehen ist das Ziel dieser Inszenierung. Dabei gelangt sie auf der Suche nach neuen Erzählformen zu ungeahnten, sehr aktuellen Mitteln, seien diese akustischer, musikalischer, visueller oder räumlicher Natur. Alcina und die Figuren um sie herum werden als Menschen gezeigt, deren Probleme und vermeintlichen Auswege heute aktueller sind denn je – sozusagen mitten aus dem Leben und unserer Umwelt gegriffen.“

Alcina

Alcina, als Frau und Zauberin ein Prototyp der Verlockung, verhext all die Männer, die sich auf ihre Insel verirren, sobald sie als Liebhaber nicht mehr taugen. Die erotische Hexe versucht, Männer durch Zauberei an sich zu binden, was aber nicht gelingen kann, denn die wahren, tiefen Emotionen bleiben so auf der Strecke. Erst als Alcina ihre Zauberkräfte verliert, ist sie in der Lage, wirklich zu lieben. Der Kampf um die Liebe spiegelt sich auch in der Musik von Händel wieder. Schon zu seinen Lebzeiten wurde diese Oper heftig diskutiert und kritisiert, Alcinas Erotik war höchst umstritten.

Die Vorlage für die Handlung

Die Handlung der Oper basiert auf dem Roman „Orlando furioso“ von Ludovico Ariosto. Gedruckt erschien er erstmals 1516 in Ferrara. Das Versepos hatte nicht nur großen Einfluss auf die italienische Literatur, das französische Theater und unter anderem auch auf William Shakespeares Werke. Es inspirierte Händel ebenfalls zu seinen Opern „Orlando“ (1733) und „Ariodante“ (wie „Alcina“ ebenfalls aus dem Jahr 1735). Während „Ariodante“ der Episode der literarischen Vorlage von Ariosto genau folgt, nimmt Händel für „Alcina“ zwar den Text der ‚L’Isola di Alcina‘, sowie bestimmte Charaktere und Ideen von ihm auf, verarbeitet sie aber auf neue Weise.

 

Beide Werke im Vergleich

Der fundamentale Unterschied zwischen den beiden Werken liegt aber nicht nur in der Art und Weise, wie mit dem Ursprungsmaterial umgegangen wird. Auch thematisch zeigen sich unterschiedliche Schwerpunkte: In „Ariodante“ geht es um die rein menschliche Intrige, während „Alcina“, in der es natürlich auch um menschliche Empfindungen geht, eine Zauberoper ist. Sie ist voll von übernatürlichen Erscheinungen, so wie es sich das Publikum des Barock wünschte und feierte. In der Immling Inszenierung waren es oft genau die Momente, in denen Zauberei und Magie ins Spiel kam, die Cornelia von Kerssenbrock nutzte, um elektronische Musik einzusetzen.